Abschnittsübersicht

    • Im folgenden Kapitel lernen Sie die wichtigsten Begriffe im Bereich der Polymedikation kennen.

      Was ist Polymedikation?

      Polymedikation oder Polypharmazie bezeichnet die gleichzeitige Anwendung von fünf oder mehr Medikamenten. (Quellen: Masnoon et al.; Musolf)


      Bewohner mit Medikamenten

    • Was sind unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW)? 

      Unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) wurden früher als Nebenwirkungen eines Medikaments bezeichnet. Davon spricht man, wenn ein Medikament zwar die Krankheit oder Beschwerden erfolgreich behandelt, aber gleichzeitig neue, nicht erwünschte Beschwerden / Symptome hervorruft. Zum Beispiel gibt es Medikamente, die gut gegen Schmerzen nützen, aber auch Übelkeit verursachen können. Dann ist die Übelkeit eine unerwünschte Arzneimittelwirkung. (vgl. Toolbox UAW-Tool)

      Was ist eine Arzneimittelinteraktion?

      Eine Arzneimittelinteraktion ist eine Wechselwirkung zwischen zwei Medikamenten. Dabei beeinflussen sich die Medikamente gegenseitig, so dass sich die erwünschte oder unerwünschte Arzneimittelwirkung verändert, z.B. verstärkt oder abschwächt. Ein Medikament kann auch mit Nahrungs- oder Genussmitteln interagieren. Zwei Beispiele dazu:

      • Ciprofloxacin (Ciproxin®) und Calcium (Calcimagon®) : Wenn beide Medikamente gleichzeitig eingenommen werden, binden sie sich im Magendarm-Trakt aneinander (sie verklumpen sozusagen). Dies führt dazu, dass beide Medikamente nicht mehr richtig aufgenommen werden und deshalb nicht voll wirksam sind. Das gleiche passiert, wenn Ciprofloxacin mit calcium-haltiger Milch eingenommen wird.

      • Acetylsalicylsäure (Aspirin®) und Phenprocoumon (Marcoumar®) können als unerwünschte Arzneimittelwirkung beide Blutungen verursachen. Werden beide Medikamente bei einem Patienten eingesetzt, verstärkt sich dieser Effekt.

    • Was ist eine Verordnungskaskade? 

      Eine Verordnungskaskade entsteht, wenn unerwünschte Arzneimittelwirkungen auftreten, die nicht als solche erkannt und in der Folge mit einem weiteren Medikament behandelt werden. (Quelle: Bergert et al.) 

      Im Folgenden ein Beispiel dazu:

    • Fallbeispiel

      Herr Pfammatter hat eine Pneumonie mit Atemnot und eine infektbedingte leichte Verwirrung. Er erhält ein Antibiotikum, das er nicht verträgt. Er reagiert mit juckendem Hautauschlag. Er erhält deswegen ein Antihistaminikum. Das Antibiotikum wird gewechselt, das Antihistaminikum läuft weiter. Wegen der Atemnot erhält Herr Pfammatter eine Feuchtinhalation und Morphin Tropfen. Damit er als unerwünschte Arzneimittelwirkung des Morphins keine Obstipation entwickelt, bekommt er zudem ein Abführmittel. Herr Pfammatter äussert Übelkeit und erhält dafür einen Magenschoner und ein Antiemetikum.

       

      Herr Pfammatter, Bewohner        


      Häufig werden bei einer Verordnungskaskade nach dem Abklingen der Symptome nicht alle Medikamente gestoppt. Bei Herrn Pfammatter wäre dies beispielsweise der Fall, wenn nach dem Abklingen der Pneumonie zwar das Antibiotikum, die Inhalation und das Morphin gestoppt, aber das Antihistaminikum, das Abführmittel, der Magenschoner und das Antiemetikum weitergegeben würden.

    • Was ist eine potenziell inadäquate Verordnung?

      Eine potenziell inadäquate Verordnung (engl. potential inadequate prescription, kurz PIP) ist die Verordnung einer Medikation, die mehr Risiken als Nutzen bringt. (Quelle: Kaufmann et al.)

      Es gibt drei Kategorien von potenziell inadäquaten Verordnungen:

      • Unterversorgung: Fehlende Verordnung einer klinisch indizierten Medikation, d.h. es wird  keine medikamentöse Therapie für eine oder mehrere Diagnosen verordnet, z.B. wenn Herr Pfammatter aufgrund seiner Pneumonie kein Antibiotikum erhalten würde.
      • Überversorgung: Verordnung einer Medikation, für die keine Indikation vorliegt, z.B. wenn das Antihistaminikum bei Herrn Pfammatter nach Abklingen der Symptome nicht gestoppt wird.
      • Fehlversorgung: Verordnung nicht angemessener Medikamente oder Dosierungen. Nicht angemessene Medikamente sind Medikamente, die für eine bestimmte Patientengruppe nicht geeignet sind. So können bestimmte Medikamente bei älteren Menschen spezielle Probleme verursachen und sollten daher möglichst nicht eingesetzt werden (engl. potential inadequate medication, kurz PIM). Im Beispiel von Herrn Pfammatter wäre dies der Fall, wenn er wegen seiner infektbedingten Verwirrheit ein Benzodiazepin erhalten würde.


    • Gut zu wissen: PIP und PIM

      In der Fachsprache spricht man oft von PIP und PIM.
      PIP (engl. potentially inadequate prescription) steht für eine möglicherweise unpassende Verordnung.
      PIM (engl. potentially inadequate medication) steht für eine möglicherweise ungeeignete Medikation. Sie ist eine Form von einer PIP.